„Du glaubst wohl, du bist was Besseres!?! Du bist SO arrogant!!!“
Dieser Satz wurde mir nicht nur einmal gesagt. Aber das eine Mal, als ich 14 Jahre alt war, traf er mich tief. Er stammte aus dem Mund von einem Jungen, von dem ich damals dachte, dass ich ihn sehr mochte. Und ich wollte vor allen Dingen, dass er mich mochte.
Kürzlich fand ich mein Tagebuch wieder. Ich wollte eigentlich ein paar Zeilen aus meiner toxischen Beziehung mit 15 zitieren. Aber ich fand das vorherige Kapitel, 1997/1998. Ich war 13, prägnant mit 14. Und ich las, dass es diesen Jungen gab, der mich küsste, obwohl wir nicht mehr zusammen waren und mir dann sagte, ich solle mir nichts darauf einbilden, eigentlich sei ich ihm sch*egal.
Ich las, dass dieser Junge von mir Dinge verlangte, ich mich überrumpelt fühlte, es keinen sicheren Rahmen dafür für mich gab und dass er am nächsten Tag sagte, das hatte nichts zu bedeuten. Und ich erinnere mich an diese Gefühle.
Ich lernte ihn kennen als ich 12 war. Ich steckte gerade in einer fiesen Mobbingsituation in der Schule. Wir wollten umziehen, ich wechselte bald Schule und Freundschaften und ich freute mich sehr darauf. Es war für mich ein Neustart und tagträumerisch fantasierte ich von den tiefsten und coolsten Freundschaften und der Liebe. Und dann war da dieser (zukünftige) Nachbarsjunge. 15 Jahre alt, mit dieser coolen Jacke. Welch ein Klischee. Aber ich fand ihn toll. Wir freundeten uns an. Auf dem Neubaugebiet, zwischen den Baustellen unserer zukünftigen Häuser verbrachten wir ein paar nette Stunden obgleich er immer wieder seltsam war. Und ich? Fand ihn toll. Denn nicht nur als Junge, auch als Neustart, raus aus dem Mobbing, rein in dieses neue Leben, das mir Freundschaft und Liebe, Zugehörigkeit und Wertschätzung bringen sollte. Und in dem ich all diese tollen Dinge aus dem Fernsehen erleben könnte.
Ich lese in meinem Tagebuch, dass er mich ständig ärgert. Ich bin mittlerweile 13, es ist Juni oder so. Ich schrieb „Er ist eifersüchtig auf Mark Owen und sagt, ich sollte mich auf jemanden konzentrieren, der hier ist. Na solange er sich nicht selbst meint!“ Ich weiß heute nicht mehr, ob ich das so meinte oder nicht. Aber es häuften sich die Notizen darüber, dass auch andere Freundinnen meinten, dass er etwas von mir wolle. Und ich glaube, ich wollte das auch, aber ich hab mich nicht getraut.
Ein paar Wochen später küssten wir uns. Ich erinnere mich noch grob daran. Ich war auf Wolke 7. Und gleichzeitig lese ich in meinem Tagebuch „Er sagt, wenn wir nicht zusammen sind, können wir uns nicht trennen.“ Kurze Zeit später waren wir dann zusammen. Offiziell und so. Knutschend auf der Schaukel (welch Klischee), knutschend in seinem Zimmer. Er schrieb mir Zettel mit „Ich liebe Dich – und ich kann nichts dafür“. Heute habe ich sie weggeschmissen. Wir verbrachten viel Zeit zusammen, bis ein anderes Ereignis meine Welt aus den Fugen warf und wir uns auf einmal „positionieren“ mussten. 3 Monate später (ich war mittlerweile 14) machte er Schluss. Er hätte mir schon zu viel weh getan in der Situation, er will mir nicht noch mehr wehtun“. Er vertrat eine andere Position als ich, glaubte der Allgemeinheit und verstand meine Entscheidungen nicht. Die Trennung tat weh, war doch meine ganze Welt eh schon auf dem Kopf und jetzt auch noch das weil wir „nicht einer Meinung waren“. Aber ich lese in dem Tagebuch, dass ich kämpferisch war und nach vorne gucken wollte.
Weitere 2 Monate, es war Mai, später küsste er mich wieder. Und sagte „bilde dir nichts darauf ein“. Was darauf folgt ist ein Sommer, der mich wohl zutiefst gebrochen hat. Und wenn ich in der Retrospektive glaubte, dass dieser Junge mein Halt war, lese ich heute ganz andere Dinge.
„Er sagt, ich muss mir sein Vertrauen wieder aufbauen und ich kann ihn verstehen“. Hmm, nein, Ich, jetzt hier, nicht. Denn ich weiß nicht, was ich gemacht haben soll. Ich weiß, dass ich in einer super harten Lebenssituation war und er mir die Schuld gab, dass ich schwierig war. Es ging den ganzen Sommer so. Körperlicher Austausch, Zärtlichkeiten und Ablehnung und Gemeinheiten wechselten sich fast täglich ab. So lese ich es heute. Er hatte zwischendurch andere Freundinnen und kam immer wieder zu mir an und ich, ja ich war so verloren, dass ich ihn ließ.
All das endete, als er jemand anderes kennenlernte und sich anscheinend wirklich verliebte. In meinem Tagebuch steht „sie gehört zu den Asis aus dem Nachbardorf“. Und ich erinnere mich daran. Innerlich wollte ich weiterhin, dass wir befreundet waren. Wir gesagt, mein Leben zerbrach, selbst mit meinen Freundinnen hatte ich damals schon viel Streit, ich suchte Halt. Und ich ging zu ihm und sagte ihm, dass seine neue Freundin Asi ist. Ja, rückblickend hätte ich das wohl nicht tun sollen, war ziemlich dumm. Aber ich wollte ihn zurück in „meiner“ Welt. Und er sagt mir „Du hälst dich wohl für was Besseres“. Das traf mich tief. Und ich habe danach eine sehr lange Zeit geglaubt, dass ich nichts wert bin. Ja, dieser Junge hat mir wohl meinen Selbstwert genommen. Diese ganze Situation hat mir meinen Wert und meine Liebe genommen und hat zurückgelassen, dass ich falsch bin, nicht liebenswert, arrogant und dass es richtig war, mich so zu behandeln.
Heute sehe ich es anders. Ich sehe einen Jungen, der von seinem Vater geschlagen wurde. Der seelisch misshandelt wurde. Der in diesem Sommer seine Berufsausbildung anfing, sich neu orientierte und dem das kleine gebrochene 14jährige Mädchen zu viel war. Und dennoch gab ihm das kein Recht, so mit mir umzugehen. Und ich sehe ein 14jähriges zerbrochenes Mädchen auf der Suche nach Halt, den ihr niemand zu geben vermochte, nicht in der Lage, ihre Emotionen zu erkennen, ihre Lage zu verarbeiten, ihre Gedanken zu ordnen. Denn es war zu viel. Ja, es war zu viel. Das konnte niemand halten. Nicht mit Liebe, nicht mit Kraft und vor allem nicht mit dem Bewusstsein meines Umfeldes im Jahre 1998. Aber das lag nicht an ihr. SIE war niemals zu viel. SIE war niemals falsch. Aber sie hat es sehr schnell geglaubt.
Die damals richtige Antwort auf „Du denkst wohl, du bist was Besseres?“ wäre gewesen
„Nein. Ich WEISS es!“
Denn auch das sehe ich heute. Ich war klüger als der Junge. Talentierter. Hübscher. Selbstbewusster. Stärker. Hatte mehr Niveau.
Ich war nur in dem falschen Umfeld. Ich war der berühmte Pinguin in der Wüste. Und ich wollte so sehr zu den anderen Wüstentieren gehören, ich kam ja auch nicht raus aus der Wüste. Aber ich WAR definitiv mehr. Schon immer. Und schon immer begleitete mich das „Kleinhalten“.
Natürlich kann man jetzt moralisch streiten, ob mich das „Mehr“ zu einem „Besser“ macht, sind wir doch alle gut so, wie wir sind, aber ich war noch nie Teil von den „Asileuten“, von den Kleingeistern, von den Dörflern und das war auch völlig in Ordnung. Und doch bewegte ich mich noch viele weitere Jahre in diesen Kreisen der Autoproleten, der Poser, der Kiffer und Sprücheklopfer. War ich arrogant? Vielleicht. Immer dann, wenn ich ausbrach. Wenn all das Kleinhalten zu schmerzhaft war. Und ich war verbittert weil mich niemand sehen konnte, wie ich war. Das war ich auf jeden Fall.
Aber was ich damit sagen will? Lass dir nie wieder von jemandem sagen, dass es schlecht ist, besser zu sein. Klüger zu sein. Dein eigenes Niveau zu haben. Deinen eigenen Stil zu haben. Zu leuchten und Recht zu haben. Umgib dich mit den Leuten, für die du wundervoll bist. Sei dennoch nett zu den anderen. Behandle die Menschen respektvoll aber nimm deren Meinung nicht an, denn wer dich klein machen möchte, hat niemals recht damit!