Wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte, was würde ich ändern?
Diese Frage umtreibt mich gerade und ich kriege sie nicht in Gedichtform dargestellt, daher nun als Text.
Ich bin jetzt gerade 41 Jahre alt, plane schon meinen 42ten Geburtstag (ok, er ist eigentlich schon so gut wie geplant, ich weiß wo ich sein werde, das ist im Moment das Entscheidenste).
Letzte Woche sah ich eine Familie neben mir in einem Restaurant sitzen und ich stellte fest, dass ich mit den Eltern der zwei Töchter, damals studiert habe. Ich habe nicht mitgekriegt, dass sie dateten, zugegeben, ich habe generell wenig von meinen Kommilitonen mitgekriegt, aber ich habe sie in den letzten zwanzig Jahren immer mal wieder gesehen, auf Konzerten, irgendwann kinderwagenschiebend, jetzt mit den Töchtern beim Essen gehen. Und in mir kam dieser Gedanke davon, dass die beiden seit zwanzig Jahren in einer Beziehung sind, auch wenn ich nichts über deren Qualität weiß, sie erschienen zufrieden, ausbalanciert und ich selbst stehe gerade vor Trümmern und Neubeginnen, vor Träumen und Visionen und komme nicht umher, die letzten zwanzig Jahre zu reflektieren, begleitet von der Frage „Warum war es mir nicht möglich, solch ein Leben zu haben?“.
Ich weiß, dass diese Frage mich keinen Schritt weiter bringt. Dass die Frage nach den Warums der Vergangenheit am Ende keinen Fortschritt für die Zukunft bringt, außer höchstens Lerneffekte, falls das nochmal passiert. Und dennoch umtreibt es mich… was ist in meinen letzten zwanzig Jahren passiert und würde ich es heute anders machen, komplett ändern?
Vor nicht ganz zwanzig Jahren habe ich mein Duales Studium abgeschlossen. Dieser Moment von „jetzt bin ich erwachsen“, so ähnlich wie damals, als ich das Abitur in der Hand hatte und dachte, die ganze Welt steht mir offen, kam nicht. Es war damals für mich nur, als hätte ich einfach ein weiteres Kapitel abgehakt. Recht emotionslos. Und so wurde es auch in meinem Umfeld aufgenommen, man war stolz aber den Moment zu feiern, das war damals nicht so (übrigens, als ich das erwähnt, sollte ich mich nicht so anstellen, nur mal als Randnotiz weil es mich auf Grund aktuellerer Geschehnisse wieder beschäftigt hat; aber ich schweife ab).
Ich hatte also den Abschluss und den Job in der Hand. Als erstes zog ich in meine erste eigene Wohnung. Es gab mehrere Umstände, die am Ende dazu führten, dass ich recht schnell von „zu Hause“ weg wollte. Ich nahm einen Kredit auf um mir die Möbel kaufen zu können (horrende Zinsen, weil ich nur einen Zeitvertrag hatte und keinen Festvertrag, ein Jahr später konnte ich den dann zu besseren Konditionen auslösen) und mietete eine 2 Zimmer Wohnung in meinem „kleinen Ghetto“. Ich freute mich auf die Wohnung, legte aber gar nicht so viel Wert darauf, denn eigentlich wollte ich ja dann irgendwie nach Berlin gehen, zu meinem damaligen Freund. Das war das Ziel. Er lebte in Berlin, wollte nicht hierher kommen, ich musste also zu ihm. Und fernab davon, dass ich hier den Job und meine Familie hatte, habe ich mich in Berlin auch nie wirklich wohlgefühlt. Es wäre halt nur der nächste logische Schritt gewesen, rückblickend emotionslos und sachlich. Hätte ich auf mein Herz gehört, hätte es mir gesagt, dass der Freund ja ganz ok war, wir hatten ne schöne Zeit, aber dass ich nicht nach Berlin gehöre und eigentlich auch nicht zu dem Menschen gehöre. Aber mit 22/23 wusste ich nicht, wie ich auf mein Herz hören sollte.
Die Beziehung mit dem Berliner ging ein Jahr später zu Ende. Dramatisch. Natürlich. Ich lernte wen anders kennen, auf einer Party, auf die er nicht mit wollte, wir bekamen gleichzeitig einen riesigen Streit und als ich ihn an dem einen Sonntag zum Bahnhof brachte wusste ich, dass ich ihn nicht mehr so wiedersehen werde. Ja, die Intuition hatte ich damals tatsächlich schon, auch wenn ich mich nicht getraut habe ihr Entscheidungen folgen zu lassen (und auch heute erfordert es noch Mut… nach jahrelangem bewussten Training). Und ich fiel damals in ein Loch. Obwohl die Trennung von mir ausging, hing mein Verstand an dem „warum hat es nicht geklappt“ fest. Eine Trennung war damals für mich das größte Zeichen des Versagens, des Nicht- Liebenswert- Seins, träumte ich doch heimlich intensiv von dem Prinzen, der für mich kämpfte, der UM mich kämpfte, für den ich die einzige Frau auf der Welt war/ bin, der alles auf der Welt bewegen würde, um mich bei sich zu behalten.
Nun, der Berliner war kein Prinz (wusste ich ja irgendwie auch schon) und ich fiel in ein Opferloch, das mich lange beschäftigen sollte.
Es folgten viel Alkohol, ein heftiger Autounfall, Essstörung, Therapie, exzessive Feiereien (ich war 24, also bitte) und die ständige Suche nach dem oben erwähnten Prinzen in irgendwelchen Dingen, die man heute wohl „Situationships“ nenne würde.
Der nächste vermeintliche Prinz kam mit 25… obwohl mein Gefühl schon damals wieder den Kopf schüttelte. Aber ich war 25, er war recht gut zu mir (was irgendwie neu war) und ich musste doch auch weiter mein Leben aufbauen. Das ging nur mit einem Mann an meiner Seite. Mit Mitte 20 Single zu sein war damals irgendwie ein Loserstatus, immerhin musste ich doch ein Heim erschaffen, heiraten, Kinder kriegen (die ich damals gar nicht wollte) und diese Familie gründen, (m)ein Leben erschaffen, auf das ich mich im Alter stützen kann, das den gängigen Lebensmodellen genügt, von dem die Menschen sagen „sie hat es geschafft“ und das in jungen Jahren, weil das besser ist für hinten raus. Ja, das war damals meine Motivation.
Gleichzeitig hatte ich einen gegenteiligen Beweis. Ein Arbeitskollege von mir, der gefühlt mit 17 ein Haus kaufte, die Familie gründete und mit 40 alles abbezahlt hatte und irgendwie dennoch nicht richtig zufrieden schien. Er war doch aber „fertig“? Er hatte das vermeintliche Spiel des Lebens in Rekordzeit gewonnen aber ich konnte ihm ansehen, dass ihm etwas in seinem Leben fehlte. Das erschien mir seltsam aber nun, das war ja auch sein Problem, ich hielt an dem Plan fest. Es gab nur nur den einen Weg, den einen Lebensweg, den ich zu gehen hatte.
Keine drei Jahre später zogen wir in unsere gemeinsame Wohnung. Ich hatte es geschafft, ihn von Hannover nach Braunschweig zu holen, wir hatten diese großartige Wohnung bekommen, auf die es 12 Bewerber gab, 120qm, 5 Zimmer, neu renoviert, großes Badezimmer, westliches Ringgebiet, ein Traum. Ich ignorierte das riesige Gebrüll meiner Intuition als ich den Mietvertrag unterschrieb. Mein Inneres brüllte mich an, dass das eine absolut schlechte Idee ist, aber ich dachte, ich war nur nervös und unterschrieb.
Wir zogen zusammen aber statt dass es wundervoll und zauberhaft wurde, wurde es ein Desaster.
Zwei Monate später verlor er seinen Job, suchte dringend nach neuer Arbeit, wurde gefrustet, bekam am Ende eine neue Stelle- nur wieder in Hannover. Begann diese Pendelei, hielt das nicht aus, wurde immer unzufriedener, kurzum, keine anderthalb Jahre später zogen wir wieder aus dieser Wohnung aus. Und ich stand vor dem Scheitern. Mal wieder. Ich war mittlerweile 28, kurz vor der magischen 30, ich fühlte mich erneut wie eine Versagerin. Nicht gut genug, dass der Prinz diesmal für mich kämpfte und blieb.
Nein, der Prinz ging zurück in seine Heimatstadt und kreierte eine Wochenendbeziehung. Ich bildete mir ein, dass das für meine eigene Freiheit gut sei. Er kam die Wochenenden her, wir verbrachten schöne Zeiten, die neue Wohnung in Braunschweig war unser „Stützpunkt“, das was „zu Hause“ war, die Wohnung in Hannover nur der Zweitwohnsitz, der Ort, an dem seine Sachen lagerten, die eh viel zu viel waren. So hatte ich nur ihn und nicht seinen Kram, ist doch perfekt. Und Kinder kann man auch in diesem Lebensmodell haben, ich krieg das schon hin, ich kümmere mich darum. Denn ja, so mit kurz vor 30 wollte ich auf einmal Kinder. Ich wollte diese Familie. Ich wollte, das Familienoberhaupt sein, gebraucht werden. Mich nicht mehr wie eine Versagerin fühlen. Ich wurde 30, hatte keinen Ehering, kein Eigenheim, kein Kind. Ich hatte nichts erreicht von der großartigen Zukunft, die ich doch vor mir gehabt habe.
Die restliche Zeit in meinen Dreißigern verbrachte ich damit, dem Familien- und Kinderwunsch hinterher zu laufen. Anders kann ich es heute nicht mehr beschreiben. Es musste doch mit ihm funktionieren?! Nur wollte er keine Kinder. Nie. Aber ich hatte den Plan, dass, wenn das Kind erstmal da wäre, würde sich diese Hannoversache erledigt haben, denn dann würde er endlich verstehen, dass ich Recht hatte, dass das eine glückliche Idee war und er würde zu mir zurück kommen und wir wären glücklich bis an unser Lebensende. Heute wissen wir alle, dass das nicht funktioniert hat.
Was ein Happy End werden sollte, wurde erneut immer dramatischer, immer schwieriger, immer schmerzvoller. Und ich dachte, ich muss das nur aushalten, ich muss nur durchhalten, mich beweisen, noch härter kämpfen für mein Glück und meine Vision.
Und ich übersah in all den glücklichen Familienbildern, die ich so kreierte, dass ich nicht glückliche Mutter werden wollte, ich wollte ein Bild erfüllen, von dem ich hoffte, dass es mich glücklich gemacht hätte weil augenscheinlich doch alle anderen auch damit glücklich waren.
Wonach ich mich wirklich sehnte war Zugehörigkeit, Liebe, Verbundenheit, Fühlen.
Und ich sehnte mich nach mir selbst. Nach dieser Frau die ich war, die sich aber immer irgendwie zu verstecken schien. Aber das wusste ich damals noch nicht. Ich rannte zum Sport für meine Figur in Kleidergröße 36, ich arbeitete daran, die perfekte Frau zu sein und alles richtig zu machen.
Ich hörte mit 32 auf zu rauchen, es folgte die Essstörung Teil 2, erneute Therapie, ein neuer Job, Resilienz Training und das erste Mal ein Bewusstsein darüber, dass ich mehr Talente hatte, als mein Job und mein Ehrenamt das ich da noch so machte, sondern dass ich mehr Fähigkeiten hatte, Muster zu erkennen, Menschen empathisch zu begegnen, Lösungen zu finden.
Ich fing an, hinter die Fassaden zu schauen, ich bekam den Mut dazu, meinem Gefühl mehr zu vertrauen, was andere Leute anging. Ich begann auch diesen Blog hier, fing das Schreiben an, fing an, meine Reise in Texten festzuhalten. Ich begann zu Nähen, das zu posten, Bilder zu machen, eine gewisse Internetpräsenz aufzubauen und in all dem, ganz nebenbei… entfaltete sich etwas in mir, was ich nicht beschreiben konnte. Und gleichzeitig wollte ich weiterhin diese Kinder, die Familie, dieses Glücklichsein, dieses Ankommen.
Die Beziehung endete mit 37. Ich war gerade dabei, mein Business aufzubauen, als ich lernen musste, für mich selbst zu sein. Alleine im Leben. Kein Partner mehr an meiner Seite.
Ich lernte schnell meinen Traummann kennen aber auch hier gab und gibt es einiges zu lernen. Ich war immer unsicher, all die Geschichten der Vergangenheit haben mich gelehrt, dass ich eigentlich nicht liebenswert bin, dass ich es nicht wert bin, von so einem Mann so tief geliebt zu werden. Dass es diesen Prinzen nicht gibt, dass ich meine eigene Prinzessin sein muss und ich wünschte mir so sehr, seine Frau zu sein, er ist das Beste, was mir passiert ist und doch ist es gerade alles… nun… ich stehe gerade an dem Punkt, an dem ich bin.
Ich habe viel gelernt, ich habe viel gefunden. Viele Ausflüge in die Vergangenheit gemacht um Knoten in meinem Herzen zu lösen. Um Scherben aufzusammeln, um alte Trauer zu beweinen und zu dieser Frau im Hier und Jetzt zu werden.
Wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte, was würde ich anders machen?
Bereue ich es, dass ich noch keine 20jährige Beziehung meins nennen kann?
Glaube ich noch immer, dass etwas mit mir falsch ist?
Ja und Nein.
Ich weiß heute, dass jeder Lebensweg eigen ist. Manche haben Familien, andere gehen den Weg der Einsamkeit, wieder andere erleben andere Geschichten. Ich weiß aber auch, dass ich damals keine Kinder kriegen wollte, solange ich gewisse Themen nicht gelöst hatte. Auch das hatte ich mir einst geschworen und eingehalten. Denn ich habe schon damals unbewusst gespürt, dass das alles nicht gut für mich und meine Kinder gewesen wäre. Dass ich die Kinder als Kompensation haben wollte. Ich wusste es tief in mir. Vielleicht ist es mein Schicksal, diese Entwicklungen zu gehen, vielleicht ist es meine Bestimmung, Cyclebreakerin zu sein, die Welt zu verändern, Coachings und Texte zu kreieren, Frauen zu unterstützen, die Muster dieser Welt zu hinterfragen und für mich neu auszurichten.
Was ich auf jeden Fall dafür brauche, ist der Glaube an mich selbst und den hatte ich damals nicht. Damals habe ich nur reagiert, nie kreiert. Ich habe zugestimmt, nie bestimmt. Vor allem nicht in meinem Leben und meinen Partnerschaften (auch wenn Beteiligte jetzt etwas anderes behaupten würden, aber in meiner Energie war ich nie die Bestimmerin meines eigenen Lebens, weil niemand Bestimmerinnen mag, sondern wenn habe ich mich nur gewehrt, wenn meine Grenzen zu lange niedergetrampelt oder ich partout nicht gesehen wurde).
Vielleicht hätte es eine Partnerschaft für mich gegeben, die die letzten 20 Jahre mit mir gegangen wäre. Anscheinend nicht, denn sonst wäre er hier.
Also nein, ich bereue es nicht. Wie sagt man so schön „Alles kam wie es kommen musste oder auch, es wäre nichts so wie es ist, wäre es damals nicht gewesen wie es war“. Ich nehme es an. In Liebe ohne Reue.
Würde ich es anders machen? Und wenn was?
Ich würde heute gerne zurückreisen ins Jahr 1998 und hier ein paar Stellschrauben verändern, ja. Aber damals habe ich es nicht gekonnt und mir hat niemand geholfen. Das ist es wohl, was sich „innere Kind- Heilung“ wirklich nennt. Heute die Erwachsene sein, die ich damals gebraucht hätte. Mit 14. Rückblickend wäre ich gerne selbstbewusster gewesen, mir meiner Selbst bewusster. Ich hätte gerne früher erkannt, wer ich bin, was mein Weg ist. Ja, ich wäre gerne mutiger gewesen, hätte mich mehr gezeigt, in meiner Stärke und meiner Verletzlichkeit. Hätte mehr für mich entschieden, hätte nicht mit dem Gefühl gelebt, dem Leben ausgeliefert zu sein.
Aber vielleicht war die Welt damals auch noch nicht bereit dafür. Oder zumindest nicht das Umfeld, in dem ich mich damals bewegt habe.
Wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte, würde ich mich selbst mehr beschützen. Ich würde mich spüren lassen, wieviel wert ich bin. Und ich würde mit dem einen oder anderen Jungen viel früher Schluss machen. Oh ja, DAS auf alle Fälle.
Doch all diese Geschichten und Erfahrungen haben mir gezeigt, wie stark ich bin. Dass ich immer wieder aufstehen kann auch, wenn ich am Boden liege, auch, wenn ich zerschmettere und auch, wenn ich manchmal das Gefühl habe, dass es niemals mehr gut werden wird. Am Ende ist es die Geschichte meines Lebens.
If I could turn back time – aber ich glaube, ich möchte das gar nicht.