Ich liebe Geschichten. Ich liebte die Geschichten und Fabeln und Märchen, die meine Oma uns als kleine Kinder erzählte, damals auf ihrer Hollywoodschaukel. Ich liebte die Geschichten aus meinen Büchern, die ich verschlang, ich liebte die Geschichten, die im Fernsehen erzählt wurden (wobei ich da zugegebenermaßen erst später begriff, dass auch das nur Geschichten sind).
Geschichten bringen mich in eine andere Welt. In die Welt der Heldinnen, der Liebe, der Stärke, der Freundschaft und sie haben irgendwie fast immer ein gutes Ende. Das berühmte „happily ever after“.
Neulich las ich ein Buch und es endete sinngemäß mit folgenden Worten: „Und wäre das hier ein Buch oder ein Film, dann wäre das ein schönes Ende, eine Art Happy End, nach dem wir uns doch alle immer sehnen, aber das hier ist kein Buch und kein Film sondern das Leben und somit wird das hier nur einer von vielen Momenten sein, die vielleicht, in der retrospektive, als Happy End- Moment gegolten hätten“. (ok, das war jetzt sehr frei wiedergegeben, wie ich es gefühlt habe).
Ich war immer auf der Suche nach meinem Happy End. Nach dem Moment in meinem Leben, in dem die Kamera anhält und alle, die diesen Moment verfolgen, dieses Gefühl im Herzen haben, diese Wärme und Freude, wie auch ich sie so oft als Kind gefühlt habe, wenn es gut ausging. Die Erleichterung, ja manchmal war es ein Gefühl von purem Glück und ein Sprung in die Protagonisten, dass sie jetzt doch bestimmt ungeheuerlich glücklich und zufrieden und verliebt und stolz und wasauchimmer sein müssten.
Dieses Gefühl, das wollte ich immer für mein Leben haben. Diesen Moment. Und ich kann dir ehrlich heute sagen, ich habe es versucht aber ich weiß nicht, ob es ihn jemals so gab, denn falls, erinnere ich mich nicht mehr an ihn, denn auf meiner ständigen Suche danach, habe ich ihn nie erlebt. Ich war ja auch nur auf der Suche… und ich suchte in den „Klassikern des Lebens“, romantische Beziehungen, Kinder kriegen, große Liebe und ich fand es nie. Und wie es uns die Geschichten eben lehren, gibt es dann halt auch die anderen Rollen, diejenigen, für die das Happy End nicht gedacht ist, die Gegenspielerinnen, die, die niemals die Hauptrolle kriegen werden. Und mein Kopf erzählte mir, dass ich wohl doch eher dafür bestimmt sei. Ich bin keine Hauptrolle, ich bin nicht die Frau, die das große Happy End kriegt, ich bin eine Nebendarstellerin, schon ganz ok, aber nie dafür gemacht, dass alle Zuschauenden sich in sie vernarren. Und ich „musste“ mich wohl damit abfinden und gleichzeitig hat es mich so unfassbar traurig gemacht, denn mein sehnlichster Wunsch war doch ein ganz anderer. Sollte sich das alles niemals erfüllen, weil das Schicksal es für mich nicht vorgesehen hat?!
Schicksal… die Theorie des Determinismus. Ich mag es irgendwie. Es gibt Sicherheit. Und ich mag es nicht. Denn es sperrt ein. Es nimmt Selbstbestimmung. Es nimmt Eigenermächtigung. Es nimmt einen Menschen aus seiner eigenen Kraft.
Und doch erlebe ich ein deterministisches Leben bei so vielen, im Kleinsten, in der eigenen Komfortzone. In dem „das ist nun mal so, das kannst du nicht ändern“. In dem „Es wird immer so bleiben“. In dem „das liegt nicht in meiner Hand“. Gerade, wenn es um die eigenen Entscheidungen geht. Um die Arbeit, um den Wohnort, um die Liebe, um die Hobbies, um das ganze, eigene Leben. Wenn intergenerationale Transmission und Traumata bestimmen, wer ich bin. („ich bin eine *hierbittedenFamiliennachnameneinfügen*, wir sind halt so“). Wenn Herkunftsklischees auf das eigene Sein projiziert werden, wenn wir uns über geschlechterspezifische Themen unterhalten.
Immer, wenn wir uns auf diese allgemeingültigen Phrasen stützen, dann nehmen wir uns Eigenermächtigung und Selbstbestimmung und lassen uns in eine Situation fallen, in der wir macht- und kraftlos sind.
Das ist nicht immer schlecht. Wie gesagt, es gibt Sicherheit und an manchen Stellen ist das wohl auch wirklich einfach so. Aber wenn das eigene Glück, die eigenen Träume, das eigene Ziel, die eigene Liebe, das eigene Leben auf einer allgemeingültigen Grundlage aufgebaut wird, dann wissen wir jetzt schon, wie die Geschichte enden wird. Und wenn das für dich fein ist, dann bitte lebe so.
Aber für mich war mein Wunsch nach dem Happy- End- Gefühl zu stark. Dieser Drang danach, dass etwas Großes auf mich wartet. Irgendwo da draußen.
Und dennoch schien es ja so, als ob das Schicksal es für mich so entschied. Ich sollte nicht heiraten. Ich sollte keine Kinder kriegen. Ich sollte nicht diese großen Momente des Lebens für mich erleben dürfen. Ich habe sie bis heute nicht erlebt. Und ich kann mir meine Geschichte gerne als „Die ohne Happy End“ erzählen. Und das tat ich auch lange. Sehr lange. Durch Gedanken und Gefühle, durch Bilder und innere Stimmen, die zu dieser Geschichte passten. Aber wenn ich doch ein anderes Ergebnis möchte, wenn ich mir doch mein Happy End so sehr wünsche, warum erzähle ich es mir dann nie sondern träume nur davon mit einem „zu schön um wahr zu sein, das wird eh nie was, weil…“?
Es ist mein Leben. Und damit auch meine Geschichte. Ich mag die Vorstellung von der Unendlichen Geschichte, davon, dass sie die Seiten in dem Moment schreiben, in dem sie erlebt werden. Zugegeben, ich blättere gerne mal in normalen Büchern nach hinten und lese, wie es ausgeht. Das funktioniert im eigenen Leben nicht und ja, manchmal (sehr oft) nervt mich das. Aber auch damit kann ich umgehen (lernen).
Wenn ich mir vorstelle, dass meine Gedanken und Gefühle in meinem Lebensbuch verschiedene Farben haben… Angst, Sorgen, Trauer, Schmerz, Glück, Liebe, Hoffnung, Zuversicht, Kraft, „nicht liebenswert genug“, „zu dick“, „wundervoll so wie ich bin“, „das wird eh nichts“, „du schaffst das“… all diese Anteile, Stimmen, Gedanken, Gefühle, Erfahrungen und Facetten hätten ihre Farben, dann wäre mein Buch zum Einen sehr bunt, zum Anderen könnte ich leichter erkennen, was aktuell dominiert. Ich könnte zurückgehen und schauen, was damals dominierte. Welche Teile in meinem Lebensbuch präsenter waren. Und dann… könnte ich neue Stifte wählen. Ich könnte neue Farben kreieren, manchen Farben mehr Worte geben, ich könnte mein Lebensbuch selbst kreieren. Und damit auch mein Happy End schreiben. Ich könnte es tun. Ich kann es tun. Ich tue es.
Dein Leben ist deine Geschichte. Die Regel #1 lautet: DU bist die Hauptperson. Nur du. Und dann gibt es Kapitel und Mitakteure. Es gibt Hochphasen und Tiefphasen, Wendepunkte und Zwischen- Happy- Ends. Du lernst etwas und du verlernst etwas.
Du bist geprägt von deiner Vergangenheit, von deinen Erfahrungen als Kind, als Teenager, von deiner Familie, deiner Nachbarschaft, deinem Schulweg. Du bist geprägt von den Geschichten, die die Erwachsenen früher erzählten, von den Bildern in den Büchern, von Serien und Filmen, vom Internet und Magazinen. Und in all dem, was so auf uns einprasselt ist es Zeit, das eigene Buch wieder aufzuschlagen, die eigene Geschichte nicht aus den Augen zu verlieren, nein, sie wieder zu aktivieren. Bewusst zu schreiben. Deine Wünsche und Träume zu neuen Kapiteln werden zu lassen, über die dominierenden Farben bestimmen. Und selbst über das Genre bestimmen. Möchte ich, dass das jetzt ein Drama ist? Oder ein Thriller? Oder doch ein Roman? Eine Schnulze? Du kannst frei wählen. Immer. Ganz wirklich und wahr.
Dein Leben ist deine Geschichte. Lässt du schreiben? Oder schreibst du selbst mit?