Es ist mein erster Urlaubstag von 3 Wochen. Ich habe früh einen Termin bei meiner Friseurin, Wellness für mich, ein Invest darin, dass ich mich wieder gut fühle. Einfach nur Ansätze färben, Spitzen schneiden, nichts aufregendes. Ich fahre morgens mit dem Rad in die Stadt rein, 15 Minuten durch Parkanlagen, es ist verschlafen, es sind Ferien, die Stadt ist noch ruhiger, der Wind noch angenehm, auf manchen Strecken bin ich allein unterwegs. Ich kriege den letzten Fahrradparkplatz, kaufe mir beim Bäcker ein Schokocroissant, bin auf die Minute pünktlich. Ich mag die Zeit bei meiner Friseurin, wir unterhalten uns viel, reden über alles. ich mag diese erlaubte Filterlosigkeit. Keine Gedanken darüber, ob das jetzt angebracht wäre zu erzählen, keine Gedanken darüber, ob mein Gegenüber meine Gedanken und Sätze und Intentionen verstehen würde oder nicht oder ob ich es einfach sein lassen sollte zu reden. Einfach sein.
Mit frischen Haaren gehe ich zu Fuß in einen Buchladen. Schritt für Schritt lasse ich mich meine Füße tragen, verzichte mit Absicht auf mein Fahrrad, das auf seinem Parkplatz auf mich wartet.
Der Buchladen ist recht klein, ich stöbere durch die Reihen und finde nichts. Vor einiger Zeit sah ich mal eine Werbung über ein Buch, das mich interessierte, aber ich habe den Namen vergessen, erinnere mich noch grob an das Cover und den Namen der Protagonistin und ich finde es nicht. Dafür springt mich ein anderes Buch an, das sofort mit nach Hause möchte.
Ich spreche mit der Inhaberin über das von mir verlorene Buch, ich stottere, komme mir dämlich vor bei der Beschreibung von „das Cover war rot und es hatte einen unfassbar langen Titel“ und sie überlegt, ich komme mir immer dämlicher vor und dann erinnert sie sich, sagt, dass das Buch gerade nicht da ist aber bedankt sich für die Erinnerung, sie wollte es eh nachbestellen und legt mir ein Exemplar zurück.
Ich bezahle mein Buch und gehe wieder zurück in die Innenstadt, hole mein Fahrrad ab und schiebe es bewusst zu seinem nächsten Parkplatz. Auch den kriege ich sofort, an genau der Stelle, die ich haben wollte. Ich grinse, schließe das Rad an und überlege, welchen Weg ich für meine Besorgungsliste einschlage. Ich gehe in den Brillenladen, ich finde 2 Paar Sommerschuhe, treffe meine Arbeitskollegin, die ebenfalls Urlaub hat, weiche einer anderen Kollegin aus, mit der ich nicht sprechen möchte, gehe zu DM, finde, was ich wollte, erinnere mich an alles auf meiner Liste (kennst du den Moment, wenn du gerade bezahlt hast und dir einfällt, dass du etwas vergessen hast? Eigentlich mein Standard) und gehe in mein Lieblingsrestaurant zum Essen.
Hier sitze ich, mit einem Rote Beete Carpaccio und einem Glas Wein um 13 Uhr, an einem Mittwoch und ich bin zufrieden. Mehr noch, ich spüre auf einmal eine größere Freude!
Ich habe drölfzig Stimmen in meinem Kopf, zu jeder Stimme kommen nochmal drölf Gefühle und 7/8 davon sind wirklich weder positiv, noch schön einzuordnen.
Es ist Traurigkeit, Minderwertigkeit, Abwertungen, Selbstablehnung, zum Teil Hass, Kampf, es ist das höchste Maß der Selbstkritik, nichts ist gut genug, nichts ist wertig genug, nichts rechtfertigt Zufriedenheit, Freude, Glück oder gar Liebe. Erstrecht keine Liebe. Weder Stolz noch Anerkennung oder Ruhe, nein Ausruhen darf ich mich überhaupt nicht, dann wird das ja nie was mit mir und meinem Leben, ich bin ja eh schon viel zu faul und könnte schon viel weiter in meinem Leben sein wenn ich nur anfangen würde, endlich mal alles richtig zu machen.
Und ich sitze an meinem Tisch, bestaune das Hochzeitspaar, das gerade das Standesamt verlässt, tippe schnell einen Text in Canva für ein neues Reel ein, das vielleicht niemals veröffentlich wird, weil ich mich nicht einig werde, ob ich es selbst einlesen sollte (aber wer will mich denn schon sehen??) oder nur den Text poste (das liest doch keiner, die Leute wollen unterhalten werden!!) und erwische mich bei dem Gedanken, dass es doch großartig ist, dass ich genau in diesem Moment erlebe, was ich erlebe. Dass ich hier sitze, dass ich Einkaufstüten neben mir stehen habe, dass ich die Fahrradparkplätze so easy bekam, überhaupt, dass ich mit dem Fahrrad fahren kann weil ich hier wohne, nicht mehr in dem Dorf in dem ich meine Jugend verbrachte, dass mein Leben ja doch in den kleinen Dingen voller Alltagsmagie ist und sich vieles für mich dreht und windet, dass ich mir erlaube, jetzt hier zu sitzen und Wein zu trinken, für mich einen Moment des Genuss kreiere und überhaupt, dass ich alleine im Restaurant sitze und mir dabei weder einsam, noch alleine oder generell komisch vorkomme. Ich erinnere mich an meinen Post vor 6 Jahren, als ich mit mir selbst das erste Mal Frühstücken war und einen Text schrieb, dass ich jetzt mit „meiner besten Freundin sein werde – mit mir“. Well… ich würde sagen, ich war damals sehr euphorisch, vielleicht naiv, vielleicht bin ich jetzt aber auch an gewissen Stellen zu erschöpft. Vielleicht hätte ich den Weg damals anders weitergehen müssen, vielleicht, vielleicht, vielleicht. Aber egal, wie dieser Weg nun war und ging, wie es verlief und was ich alles durchgemacht habe, in diesem Moment jetzt, bin ich zufrieden und reich und dankbar.
Und doch ist da dieses Gefühl, diese Bewertung, dass es schon recht armselig ist, für ein Glas Wein so hoch dankbar zu sein. Immerhin ist das kein Alleinstellungsmerkmal, viele andere Menschen sitzen auch gerade mit mir im Restaurant und trinken Wein. Ist jetzt keine Leistung! – Und nein, vielleicht ist es das überhaupt nicht. Aber wo ist denn die Grenze von „ich darf dankbar dafür sein“? Wo fängt es denn an und wo hört es auf? Was ist der Maßstab, was sind die Richtlinien? Wie groß muss es denn sein, damit ich mir erlaube, es als großartig zu fühlen?! Und die bittere Wahrheit ist, dass es keine gibt. Denn diese Erlaubnis ist nicht messbar. Es gibt keine magische Einheit von „5 Glückssternen“ in einem Augenblick ab der mein Herz von alleine anfängt zu hüpfen. Es gibt keine Bewertungsskala, was ein Glücksstern wert ist, es gibt nichts. Alles was es in mir gibt ist das Gefühl von „ich darf nicht, ich darf mich nicht freuen, es ist es nicht wert genug, ich bin nichts wert genug, die Freude ist zu banal, nichts besonderes, ich bin nichts besonderes, wenn ich mich darüber freue und das irgendjemandem erzähle werde ich nur ausgelacht wie albern ich doch bin, das ist alles Pippifax, ich bin Pippifax, mein Leben ist Pippifax… komm lass es und finde dich damit ab!“ Und dieses Gefühl, diese Gedanken, dieses „Pippifax- Denken“ wollte mich vielleicht antreiben, anspornen. Wollte mich motivieren, Großes zu leisten, Großes zu vollbringen um endlich die lang ersehnte Aufmerksamkeit, Wertschätzung und Liebe zu kriegen. Aber dieses „Pippifax- Denken“ hat mein Leben viel öfter zerstört.
Ich konnte nichts fühlen, als ich das, nun mit Abstand betrachtet, größte Glück der Welt hatte.
Ich konnte nichts fühlen, als ich an wunderschönen Flecken auf der Erde war.
Ich konnte nichts fühlen, als ich Erfolge feierte.
Ich konnte nichts fühlen, als ich geliebt wurde.
Ich konnte nichts fühlen, als ich Abenteuer erlebte.
Ich konnte nichts fühlen, als ich jedes Mal wieder kämpfte und über mich hinaus wuchs.
Ich konnte nichts fühlen… es war alles Pippifax. Zu unbesonders. Die Waagschale zeigte mir ganz klar, dass all das nichts wert war. So wie ich halt. Alles logisch
Wie groß muss es sein, damit ich es fühle? Die Antwort ist wohl „nein“. Es muss nicht groß sein. Ich muss es mir erlauben. Es sind nicht die großen Dinge, die das Leben so wunderschön machen. Ich könnte selbst in Saint Tropez sitzen, auf nem Boot in der Sonne und aus irgendwelchen Gründen Pippifax fühlen. Es geht nie um die Größe. Es geht nie um das Besondere. Es geht immer um die Erlaubnis, dass es wundervoll ist. Es geht immer darum, den Pippifax- Aufkleber von meinem Leben zu nehmen. Von meinem Herzen zu nehmen. Von mir zu nehmen. Und während ich das hier schreibe, bin ich hoch optimistisch, das auch zu tun und ich weiß, dass ich wieder in das Muster zurückfallen werde. Es war zu lange da, es hat sich festgesetzt. Und vielleicht muss ich diesen Text selber noch drölfzig Mal lesen um mich daran zu erinnern. Vielleicht habe ich aber auch ein inneres Tor aufgemacht, das eine Putzkolonne in mein Herz lässt und alle Sticker wegschmeißt. Ich weiß es nicht. Ich halte dich auf dem Laufenden. Aber denke daran, dass wir niemals Pippifax sind – wir sind wundervoll und wir dürfen uns verdammt nochmal auch so fühlen. Egal ob mit Wein oder Wasser, mit Fahrrad oder Porsche, mit Traumvilla oder Kleinraumwohnung. Es ist egal, es ist völlig egal. Glück und Freude, Liebe, Anerkennung und Wertschätzung braucht keinen Maßstab, keine Skala, es gibt keine Glückssterne ab wann wir zufrieden ins Bett gehen dürfen und ab wann wir uns eigentlich nochmal selbst in den Po zwacken müssten weil wir wieder nichts geleistet haben. Das ist alles nur… Pippifax